22. November 2010

Krankenversicherung – Medizinisch notwendige Heilbehandlung versichert

Das Landgericht Bonn hat mit Urteil vom 26. November 2009 entschieden (Az.: 9 O 230/09), dass die dem Erhalt der Vitalfunktionen eines Versicherten dienenden Überwachungsmaßnahmen zu den medizinisch notwendigen Heilbehandlungen gehören. Die durch sie verursachten Kosten müssen daher von einem privaten Krankenversicherer auch dann übernommen werden, wenn die Maßnahmen nicht durch einen Arzt durchgeführt werden.

Der Kläger war bei der Beklagten privat krankenvoll- und pflegeversichert. Durch einen Sturz erlitt er massive Hirnschäden. Er wurde nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zu Hause gepflegt und in die Pflegestufe III eingeordnet. Der Kläger ist seit seinem Sturz harn- und stuhlinkontinent und muss auch ständig künstlich beatmet werden. Da bei einer technischen Beatmung stets das Risiko des Ausfalls der Vitalfunktionen besteht, bedarf es einer durchgängigen, 24-stündigen Überwachung durch intensivmedizinisches Fachpersonal. Diese Aufgabe wird zu 2/3 von einem darauf spezialisierten Fachunternehmen und zu einem Drittel von der Ehefrau des Klägers durchgeführt, die daher ihren Beruf als Krankenschwester aufgegeben hat.

Der Krankenversicherer des Klägers vertrat die Ansicht, dass die durch den Beatmungsservice berechneten Überwachungskosten in den Bereich der durch die Pflegeversicherung abgedeckten Grundpflegeleistungen gehören und somit bereits bezahlt waren und weigerte sich daher, dem Versicherten die entsprechenden Kosten zu erstatten. Im Übrigen sei er im Rahmen der Krankenvollversicherung ausschließlich für »medizinisch notwendige Heilbehandlungen« sowie »ärztliche Leistungen« zuständig. Dazu würde aber die Überwachung einer Beatmung nicht gehören.

Dem wollte das Bonner Landgericht nicht folgen und gab der Klage des Versicherten auf Erstattung der Überwachungskosten in vollem Umfang statt.

Begründet wurde dies wie folgt. Als »medizinisch notwendige Heilbehandlung« im Sinne der Versicherungs-Bedingungen einer privaten Krankenversicherung ist jegliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit hervorgerufen worden ist. Erforderlich ist nur, dass die Leistung von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung oder Linderung der Krankheit abzielt.

Nach Meinung der Richter steht dem eine Tätigkeit gleich, die auf die reine Verhinderung der Ausdehnung und Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist. Dazu gehören folglich auch Überwachungsmaßnahmen, die der Erhaltung der Vitalfunktionen der versicherten Person dienen. Der Begriff »ärztliche Leistung« ist nach Ansicht des Gerichts in einem weiten Sinne zu verstehen. »Die vorliegend durch ausgebildete Fachkräfte und Intensivkrankenpfleger erbrachten Überwachungsmaßnahmen sind unter Berücksichtigung gerade der Sicherstellung der Vitalfunktionen und des Überlebens des Klägers durch seine durchgehende künstliche Beatmung gleich wie ärztliche Leistungen zu qualifizieren und die entsprechenden Kosten als notwendige Heilbehandlungs-Maßnahmen erstattungsfähig.

Ansonsten wäre eine weitergehende Einschränkung des Leistungsversprechens des Versicherers einer privaten Krankheitskosten-Versicherung im gegebenen Fall wegen unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners unwirksam, da dies zu einer Vertragszweckgefährdung führen würde«.

Im Übrigen sind reine Überwachungsmaßnahme zur Sicherung der Funktion eines Beatmungsgeräts nach Ansicht der Richter nicht den Leistungen der sogenannten Grundpflege der Pflegeversicherung zuzuordnen. Wegen der zwingenden medizinischen Indikation zum Erhalt der Vitalfunktionen des Versicherten handelt es sich vielmehr um den Kernbereich jenes Risikos, welches ein Versicherungsnehmer typischerweise durch eine Krankenversicherung abgedeckt wissen möchte.

Daher wurde der Versicherer dazu verurteilt, dem Kläger mehr als 137.000 Euro zu zahlen und auch in Zukunft die Kosten für die Überwachung der künstlichen Beatmung zu übernehmen.

https://www.7x7.de/blog/2010/11/22/krankenversicherung-medizinisch-notwendige-heilbehandlung-versichert/