16. August 2012

BGH-Urteil zum Sicherheitsgurt

Der Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 28. Februar 2012 entschieden (Az.: VI ZR 10/11), dass die Verpflichtung von Autofahrern, einen Sicherheitsgurt anzulegen, grundsätzlich nur während der Fahrt besteht. Daher kann einem nicht angeschnallten Fahrer kein Mitverschulden angelastet werden, wenn er verletzt wird, weil ein anderer Fahrer auf sein stehendes Fahrzeug aufgefahren ist.

Bei einer Nachtfahrt verlor die Klägerin auf einer Autobahn aus ungeklärten Gründen die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Dabei geriet ihr Auto ins Schleudern, stieß gegen die Mittelleitplanke und kam auf der linken Fahrspur zum Stehen. Dabei fiel die Beleuchtung aus. Wenig später prallte der Beklagte, der mit seinem Pkw die Autobahn mit einer Geschwindigkeit von etwa 130 km/h befuhr, auf das Fahrzeug der Klägerin auf. Obwohl sie den Anstoß gegen die Mittelleitplanke unverletzt überstanden hatte, wurde sie bei dem zweiten Unfall schwer verletzt.
In dem darauffolgenden Rechtsstreit wurde der Kfz-Haftpflichtversicherer des Auffahrenden vom Oberlandesgericht Karlsruhe dazu verurteilt, sich an dem Sachschaden der Klägerin mit einer Quote von 60 % zu beteiligen. Die Klägerin hatte den Unfall zwar durch ihr eigenes Fehlverhalten in erheblichem Maße mitverschuldet. Das Gericht warf dem Auffahrenden vor, gegen das Sichtfahrgebot gem. § 3 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen zu haben. Danach hätte er nur so schnell fahren dürfen, dass er sein Fahrzeug innerhalb der übersehbaren Strecke jederzeit hätte anhalten können.
Im Hinblick auf die Schmerzensgeldforderung der Klägerin gingen die OLG-Richter jedoch von einem erheblich höheren Mitverschulden aus, da die Klägerin nach dem Anprall ihres Fahrzeuges gegen die Leitplanke den Sicherheitsgurt gelöst hatte. Folglich hatte sie sich bei dem anschließenden Auffahrunfall besonders schwere Verletzungen zugezogen. Die Richter bemaßen das Mitverschulden der Klägerin an ihren Verletzungen mit einer Quote von 60 und nicht von 40 % wie für den Sachschaden.
Allerdings gaben die BGH-Richter der Forderung der Klägerin statt, die sich auch im Hinblick auf ihre Schmerzensgeldforderung lediglich ein Mitverschulden von 40 % anrechnen lassen wollte.
Grundsätzlich ist ein Autofahrer gem. § 21a Absatz 1 StVO dazu verpflichtet, während der Fahrt einen Sicherheitsgurt anzulegen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift kann im Falle einer unfallbedingten Verletzung zu einer Haftungskürzung wegen Mitverschuldens führen. Nach dem Gesetzeswortlaut besteht die Anschnallpflicht aber ausschließlich während der Fahrt. Die Fahrt der Klägerin war jedoch beendet, nachdem ihr Pkw wegen des Anpralls an die Leitplanke zum Stehen gekommen war. Ihr kann daher kein höheres Mitverschulden wegen der anschließend erlittenen Verletzungen angelastet werden.
Darüber hinaus war die Klägerin nicht nur dazu berechtigt, den Sicherheitsgurt abzulegen, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie war gemäß § 34 Absatz 1 Nr. 2 StVO sogar dazu verpflichtet, ihr Fahrzeug zu verlassen, um die Unfallstelle abzusichern. Dazu musste sie sich aber abschnallen. Nach all dem kann ihr deshalb nicht angelastet werden, unangeschnallt gewesen zu sein, als sich der zweite Unfall ereignete.

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