9. November 2012

Strittige konkrete Verweisung bei Wiedereingliederungsmaßnahme

Das Oberlandesgericht Nürnberg hat mit Urteil vom 23. Januar 2012 entschieden (Az.: 8 U 607/11), dass ein berufsunfähiger Versicherungsnehmer, der eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat, die nur die Möglichkeit einer konkreten Verweisung vorsieht, auch dann nicht verwiesen werden kann, wenn er die von ihm aufgenommene andere Tätigkeit nach seinen gesundheitlichen Verhältnissen zwar vollschichtig ausüben könnte, sie tatsächlich aber nur in einem so geringen Umfang verrichtet, dass er eine die bisherige Lebensstellung wahrende Vergütung nicht erzielt.

Ein Mann und späterer Kläger war bei dem beklagten Versicherer berufsunfähigkeitsversichert. In den Vertragsbedingungen wurde für den Fall einer Berufsunfähigkeit ausdrücklich auf eine abstrakte Verweisung verzichtet. In den dem Kläger ausgehändigten Erläuterungen zu dem Tarif hieß es zur stattdessen vereinbarten konkreten Verweisung: »Die konkrete Verweisung bedeute die Berücksichtigung einer anderen Tätigkeit, die die versicherte Person zum Zeitpunkt der Leistungsprüfung tatsächlich ausübt. Im Gegensatz zur abstrakten Verweisung kommt es nicht darauf an, ob die versicherte Person arbeiten könnte, sondern dass sie dies auch konkret tut. Die konkret ausgeübte Tätigkeit muss der Ausbildung und Erfahrung sowie der bisherigen Lebensstellung entsprechen.«

Als der Kläger einen Unfall erlitt, zahlte sein Versicherer zunächst eine Berufsunfähigkeitsrente. Ferner nahm der Mann an einer von der gesetzlichen Rentenversicherung getragenen, auf sechs Monate angelegten Beschäftigungsmaßnahme zur Wiedereingliederung teil. In dieser Phase konnte er aus gesundheitlichen Gründen nur jeweils wenige Stunden arbeiten und erhielt eine Vergütung, die deutlich weniger als 1/3 seines bisherigen Einkommens entsprach.

Im Anschluss an die Maßnahme wurde ihm mit Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt. Von der gesetzlichen Rentenversicherung erhielt er seitdem eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Da ihm das nicht reichte, arbeitete er als Helfer in einem Autozentrum. Für diese Tätigkeit erhielt er ebenfalls weniger als ein Drittel seines vor seinem Unfall erzielten Monatseinkommens.

Daraufhin stellte sein Berufsunfähigkeitsversicherer die Rentenzahlungen ein und begründete, dass die Beschäftigungsmaßnahme zur Wiedereingliederung gezeigt habe, dass der Kläger wieder zu mehr als 50 % arbeiten könne und vertrat gleichzeitig die Auffassung, ihn auf seine jetzige Tätigkeit verweisen zu können.

Die Richter des Nürnberger Oberlandesgerichts sahen das anders und gaben der Klage des Versicherten auf Fortzahlung der Berufsunfähigkeitsrente statt.

Das Gericht war überzeugt, dass eine von der gesetzlichen Rentenversicherung getragene, zeitlich begrenzte Beschäftigungsmaßnahme zur Wiedereingliederung des berufsunfähigen Versicherungsnehmers an seiner bisherigen Arbeitsstelle keine die frühere Lebensstellung wahrende Verweisungstätigkeit im Rahmen einer privaten Berufsunfähigkeits-Versicherung ist. Dabei handelt es sich um eine therapeutische betriebsbezogene Maßnahme, die ausschließlich das Ziel verfolgt, den Rehabilitationsprozess zu unterstützen. Sie wird von dem behandelnden Arzt individuell geplant, flexibel ausgestaltet und ist auf maximal sechs Monate begrenzt.

Im Übrigen war die Wiedereingliederungs-Beschäftigung keine Tätigkeit, die der Lebensstellung des Klägers vor Eintritt des Versicherungsfalls entsprach. »Denn im Ansehen der Öffentlichkeit entspricht eine therapeutische, von der Rentenversicherung getragene Maßnahme nicht derjenigen eines dauerhaften, am Markt erlangten und bestehenden, von Leistung und Gegenleistung lebenden regulären Arbeitsverhältnisses«.

Daher kann der Kläger auch nicht auf die danach ausgeübte Tätigkeit verwiesen werden. Auch diese entsprach nicht zuletzt auch wegen des geringen Verdienstes nicht seiner Lebensstellung vor seinem Unfall. Auf die Lebensstellung hatte der Versicherer jedoch ausdrücklich in den Erläuterungen zu dem Tarif abgestellt.

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